Wiesbaden, 14. Mai 2021. Eine große Nachhaltigkeits-Initiative der EU macht viele Unternehmen aktuell nervös: die sogenannte EU-Taxonomie. Diese soll erstmals eine europaweit einheitliche Nachhaltigkeitsdefinition etablieren und kommt überaus komplex daher. Doch damit nicht genug: Die deutsche Bunderegierung legt nach und will Nachhaltigkeitskriterien für Unternehmen deutlich verschärfen.
by Michael Diegelmann und Justus Fischer
EU-Taxonomie: Nachhaltigkeit definieren – auf über 600 Seiten Wer in nachhaltige Finanzprodukte investiert, muss sich bisher noch der komplexen Frage aussetzen, wie „grün“ die Unternehmen tatsächlich sind, in die das eigene Geld fließt. Eine gesetzliche Definition, was ein nachhaltiges Investment ist, fehlt nämlich bisher, was viel Spielraum für Greenwashing lässt.
Dieses Problem soll die EU-Taxonomie lösen: Ab 2022 müssen Produkte und Dienstleistungen bestimmte Kriterien erfüllen, damit sie als nachhaltig gelten können. Dafür müssen die Unternehmen nachweisen, dass ihr Produkt eines der folgenden sechs Umweltziele unterstützt und keinem der übrigen Ziele schadet:
- 1. Klimaschutz
- 2. Anpassung an den Klimawandel
- 3. Nachhaltige Nutzung von Wasserressourcen
- 4. Wandel zu einer Kreislaufwirtschaft
- 5. Vermeidung der Umweltverschmutzung
- 6. Schutz von Ökosystemen und Biodiversität
Dass es gar nicht so einfach ist, so eine Definition festzulegen, zeigt der „Technical Annex“ zur Taxonomie. Es ist eine Art Lexikon, das eine detaillierte Auflistung der Kriterien enthält, unter denen ein Produkt oder eine Dienstleistung als nachhaltig gilt. Dieses Kompendium ist bereits heute über 600 Seiten lang – und das obwohl bisher nur für die ersten beiden Ziele (sowie noch nicht einmal alle Branchen) konkrete Anforderungen vorliegen.
Immer mehr Unternehmen sollen künftig über ESG-Themen Auskunft geben Jedes Unternehmen soll nach dem Willen der EU ab 2022 angeben, wie viel Prozent des Umsatzes es mit „taxonomiekonformen“ Produkten erwirtschaftet und wie viel Prozent der Investitions- und Betriebsausgaben als nachhaltig klassifiziert werden können. Zunächst müssen sie das nur für die ersten beiden Ziele berechnen, ab 2023 auch für die anderen.
Doch damit ist es für die Berichterstattung nicht getan, denn weitere Regelungen im Rahmen der überarbeiteten „Non-Financial Reporting Directive“ (NFRD) sind geplant: Unter anderem sollen nach dem Willen der EU bald alle Großunternehmen und alle börsennotierten Unternehmen einen ESG-Bericht verfassen. Ausgenommen sein sollen lediglich Kleinstunternehmen, die unter zehn Mitarbeiter haben.
50.000 statt bisher nur knapp 11.600 Unternehmen in Europa sind künftig demnach in der Pflicht, ihre Nachhaltigkeitsmaßnahmen, -defizite und -ziele offenzulegen. Für die ESG-Berichte soll es dann auch deutlich strengere Standards geben. So sollen zum Beispiel separate Nachhaltigkeitsberichte nicht mehr erlaubt sein –Unternehmen sollen ESG-Infos künftig in den Lagebericht integrieren und von einem unabhängigen (Wirtschafts-)Prüfer mit mindestens begrenzter Sicherheit kontrollieren lassen. Schon ab 2024 sollen nach dem Willen der EU alle Unternehmen ab 250 Mitarbeitern und/oder einem Umsatz von 50 Millionen Euro zu diesem Reporting verpflichtet sein – drei Jahre später auch börsennotierte kleinere Unternehmen.
Deutschland verschärft Klimaziele Deutschland geht sogar noch einen Schritt weiter. Im Mai hat die Bundesregierung eine neue Strategie für nachhaltige Finanzierung und eine Verschärfung des Klimaschutzgesetzes vorgestellt. So soll Deutschland schon bis 2045 (statt 2050) klimaneutral werden, bis 2030 sollen die Emissionen (im Vergleich zu 1990) um 65 Prozent sinken. Um dieses Ziel zu erreichen, hat die Regierung 26 Maßnahmen beschlossen, die Billionen-Investitionen für mehr Klimaschutz mobilisieren sollen. Dazu gehören unter anderem eine (EU-weite) Nachhaltigkeitsampel für Finanzprodukte, eine erweiterte Nachhaltigkeitsberichtpflicht und die Umschichtung von Anlagegeldern des Bundes in nachhaltige Investments.
Das bedeuten die Gesetzesinitiativen für Unternehmen Die neuen Gesetze zeigen vor allem eines: Viele Unternehmen, die sich bisher noch bezüglich der Berichtspflicht sicher wähnten, werden nun auch erfasst – und das mit weitaus strengeren Anforderungen an das Reporting. Das Thema ESG noch immer auf die leichte Schulter zu nehmen, verursacht künftig viele Probleme. Es ist ratsam, dass jedes Unternehmen zumindest mit kleinen Schritten anfängt, zu handeln, bevor es aufgrund der eingetretenen Gesetze mit dem Rücken zur Wand steht.
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Michael Diegelmann: Gründer und Geschäftsführer
Michael Diegelmann hat Erfahrungen in über 150 Kommunikationsprojekten (Börsengänge, Investor Relations, M&A, Krise) gesammelt und ist seit 1997 im Bereich Kapitalmarktkommunikation tätig. Er ist Autor von 16 kapitalmarktrelevanten Buchpublikationen und war vormals Projektleiter bei einem internationalen Beratungsunternehmen und einem Frankfurter Brokerhaus.
Justus Fischer: Senior Consultant
Justus Fischer hat Erfahrungen in verschiedenen ESG- und IR-Kommunikationsprojekten gesammelt. Für einen internationalen Technologiekonzern hat er eine crossmediale Content-Marketing-Kampagne koordiniert. Justus studierte Medienwissenschaft, Rhetorik und Literaturwissenschaft an den Universitäten Tübingen, Bielefeld und La Plata (Argentinien).