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ESG ratings: Das Ende der Sell-Side-Analysten?

19.11.2021

Die Nachfrage nach stichhaltigen ESG-Daten unter Investoren wächst. Dabei ist die Buy-Side die treibende Kraft. Sterben Sell-Side-Analysten durch ESG-Ratings aus?

von Michael Diegelmann 

Wiesbaden, 19. November 2021. Die Corona-Pandemie hat viele Entwicklungen beschleunigt, allen voran den ESG-Trend im Finanzsektor. Gerade in der Krise hat sich gezeigt, dass Unternehmen mit einem guten ESG-Rating von Investoren besonders nachgefragt werden. Unternehmen, die die Bedeutung von ESG unterschätzen, erwarten in Zukunft schwerwiegende Finanzierungsprobleme. Dies verdeutlicht: Im ESG-Bereich ist die Buy-Side die treibende Kraft.

ESG: Buy side treibt sell side vor sich her

Während die Buy-Side seit einiger Zeit Anlageprodukte auf das Thema Nachhaltigkeit anbietet, die entweder auf Basis (nicht-)staatlicher Vorgaben, der öffentlichen Meinung oder dem internationalen Trend hin zu alternativen Investments für Kunden investiert, schenken Sell-Side-Analysten dem ESG-Bereich in ihren Wertpapier-Empfehlungen aktuell noch wenig Aufmerksamkeit. Zudem haben letztere im ESG-Bereich einen schweren Stand, da es immer mehr spezialisierte ESG-Ratings und Ratinganbieter gibt, die zahlende Investoren mit eigener Expertise versorgen.

Da es neben ein paar wenigen großen Anbietern eine Vielzahl von Ratings und Playern am Markt gibt, ist man von einheitlichen Standards weit entfernt. Dem “Hunger” von Investoren nach vergleichbaren und entscheidungsunterstützenden ESG-Daten kann von der Sell-Side nicht begegnet werden. Die immer strengeren Anforderungen und Regularien wie beispielsweise die EU-Taxonomie oder nationale Gesetze verlangen eine Spezialisierung. Denn die klareren Regeln stellen den zuvor relativ freien Definitionen feste Kriterien gegenüber. Somit werden ESG-Ratings wiederum detaillierter, aussagekräftiger und vergleichbarer, weil Ratingagenturen diese Kriterien in ihre Ratings aufnehmen. Da die Sell-Side nicht über die Kapazitäten verfügt, bei dieser Entwicklung mitzuhalten, verliert sie auf diesem zunehmend wichtigen Bereich aktuell an Boden.

Algorithmen als faktor im esg-bereich

Aber nicht nur die Sell-Side-Analysten sind gefährdet. Denn Algorithmen nehmen allen Analysten zunehmend die Arbeit bei der ESG-Analyse weg. Zwar sind ESG-Informationen nicht so leicht zu quantifizieren wie die üblichen Finanzkennzahlen, doch schlaue Algorithmen können auch diese immer besser verarbeiten. Dadurch wird zwar die Arbeit der Ratingagenturen und anderer Akteure erleichtert, gleichzeitig droht jedoch die Gefahr, dass sie Analysten ersetzen.

Für Unternehmen bedeutet das: sie müssen sich zunehmend auf die Bewertung durch Analysten einstellen, indem sie ihre Daten entsprechend maschinenlesbar und nach den gängigen Standards im Reporting aufbereiten. Und damit genug? Nein. Menschliche Analysten mögen beim Thema ESG aktuell ins Hintertreffen geraten, aber komplett irrelevant sind sie deswegen noch nicht – und werden sicher alles dafür tun, wieder an Relevanz zu gewinnen. Deshalb sollten Unternehmen insbesondere mit Blick auf die Buy-Side-Analysten proaktiv werden und an sie herantreten, wenn sie ihre ESG-Ratings verbessern wollen oder von den ESG-Analysten der Investoren besser wahrgenommen werden. Denn eines ist sicher: kein Unternehmen kann sich beim Thema ESG mehr darauf verlassen, von einem dezidierten Sell-Side-Analysten behutsam bei der Hand genommen zu werden.

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Michael DiegelmannMichael Diegelmann: Gründer und Vorstand
Michael Diegelmann hat über 50 Unternehmen an die Börse gebracht und Erfahrungen in über 250 Investor Relations und ESG-Projekten gesammelt. Er ist seit 1997 im Bereich Kapitalmarktkommunikation tätig und ein ausgewiesener Experte in ESG-Themen.