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ESG-Aspekte auf Hauptversammlungen

17.03.2023

Der Trend, ESG-Themen auf den Tagesordnungen von Hauptversammlungen zu platzieren, hält weiter an. Laut der UN-Initiative Principles for Responsible Investment (PRI) wurden im Jahr 2022 576 Resolutionen mit ESG-Bezug eingereicht, ein Anstieg von mehr als 15 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Doch die ESG-Resolutionen verteilen sich global betrachtet ungleichmäßig, was an den länderspezifischen rechtlichen Rahmenbedingungen liegt. Warum sollten sich dennoch auch deutsche Unternehmen mit dem Thema beschäftigen?

von  Michael Diegelmann

Dieser Artikel wurde als Gastbeitrag im HV Magazin 01/2023 der GoingPublic Media AG veröffentlicht

Höhere Hürden für Aktionäre in Deutschland

Wiesbaden, 17. März 2023 

Im internationalen Vergleich sind die Hürden zur Einreichung beschlussfähiger Vorlagen zu wesentlichen Nachhaltigkeitsthemen – im englischen Sprachgebrauch auch als „ESG Resolutions“ geläufig – in Deutschland hoch. Um beschlussfähige Gegenstände auf die Tagesordnung zu setzen, ist gemäß §122 Abs 2. 2 AktG ein Mindestanteil von 5 Prozent am Grundkapital beziehungsweise ein anteiliger Betrag von 500.000 Euro erforderlich. Insofern ist es nicht verwunderlich, dass für Unternehmen mit Sitz in Deutschland keine ESG-Resolutionen in der PRI-Datenbank zu finden sind.

Anders sieht die Situation beispielsweise in den USA aus: Für die Hauptversammlungssaison 2023 sind nach den Daten von PRI bereits 3 Resolutionen für bevorstehende Hauptversammlung eingereicht worden. Urheber der Resolutionen ist Follow This, ein Zusammenschluss „grüner“ Aktionäre mit Fokus auf Mineralölkonzernen. Im Visier der Follow This Resolutionen sind dementsprechend in diesem Jahr bislang Exxon Mobil, Chevron und Conocophillips. Sie sollen ihre Ziele zur Reduktion von Treibhausgasen an den Pariser Klimazielen ausrichten.

Auch gescheiterte Anträge können viel bewegen

Doch trotz der vergleichsweise schwierigeren Ausgangssituation sind auch in Deutschland in den vergangenen Jahren einige prominente Beispiele zu finden, in denen sogenannte aktivistische Investoren Großkonzerne zu mehr Nachhaltigkeit verpflichten wollen, indem sie entsprechende Tagespunkte auf deren Hauptversammlung gebracht haben. Auf der letztjährigen Hauptversammlung von RWE konnte der Investor Encraft eine Abstimmung über die Abspaltung der Braunkohlesparte des Energieunternehmens erzwingen. Der entsprechende Antrag wurde letztlich von der Hauptversammlung abgelehnt, doch das Thema erreichte medial große Aufmerksamkeit – sämtliche Leitmedien wie Spiegel, FAZ und Handelsblatt berichteten. Und RWE, womöglich auch bedingt durch das Vorgehen von Encraft, kündigte zum Ende des Jahres tatsächlich an, den geplanten Braunkohleausstieg um 8 Jahre auf 2030 vorzuziehen.

Das Beispiel ist symptomatisch für viele andere Aktionen von Investoren wie Encraft. Oftmals wird das auf die HV-Tagesordnung gebrachte Anliegen zwar abgelehnt, dennoch steigt der Druck auf Unternehmen, auf die aktivistischen Investoren und ihre Forderungen zu reagieren, in jedem Fall.

ESG-Resolutionen rufen Stimmrechtsberater auf den Plan

Zudem müssen sich Unternehmen bewusst sein, dass eingebrachte ESG Resolutionen Themen in den Vordergrund rücken, auf die auch eine für Hauptversammlungen relevante Gruppe aufmerksam werden: die Stimmrechtsberater. Sie beraten Asset Manager, die das Vermögen von Asset Ownern verwalten, und geben ihnen Abstimmungsempfehlungen. Dabei orientieren sich die Stimmrechtsberater an vordefinierten Kriterien der Asset Manager. Diese Kriterien schließen ebenfalls zunehmend ESG-Aspekte mit ein.

Auf Transparenz kommt es an

Elementar für Emittenten ist daher, ihre Nachhaltigkeitsleistung transparent offenzulegen. Die oben genannten Dokumente müssen zunächst nachprüfbar den Status-quo abbilden – wie hoch ist der CO2-Fußabdruck, was unternimmt das Unternehmen gegen Kinderarbeit, gibt es innerhalb des Unternehmens eine Gender-Paygap – sowie die Nachhaltigkeitsstrategie beschreiben, mit der das Unternehmen seine Nachhaltigkeitsleistung verbessern will. Mit dem Global ESG Monitor, den die cometis AG zusammen mit der KOHORTEN Sozial- und Wirtschaftsforschung GmbH & Co. KG entwickelt hat, lässt sich die Transparenz der Nachhaltigkeitsberichterstattung von Unternehmen messbar machen. Für den Global ESG Monitor wurde mithilfe eines eigens entwickelten Analysetools, dem GEM ASSAY™, anhand von 184 Kriterien die ESG-Berichterstattung von 350 Unternehmen ausgewertet. Mit dieser Methodologie können Unternehmen ihren Transparenz-Score ermitteln lassen und auf Basis der Daten des Global ESG Monitors ihr Ergebnis mit Unternehmen aus ihrer Branche beziehungsweise Benchmarks vergleichen. Aus dem Vergleich gehen die Lücken hervor, die die Unternehmen schließen müssen, um somit ihre Berichterstattung zu verbessern. Dadurch können sie zudem bessere Nachhaltigkeitsratings erzielen beziehungsweise aktiv auf Ratingagenturen zugehen und gleichzeitig fehlerhafte Ratings korrigieren. Insbesondere die Verbesserung der Ratings ist ein elementarer Bestandteil der Nachhaltigkeitsstrategie, da diese für Investoren, Asset Manager beziehungsweise Stimmrechtsberater oftmals die erste und einzige Quelle sind, um sich über die Nachhaltigkeitsperformance von Emittenten zu informieren.

Nachhaltigkeit meint nicht nur Umweltthemen

Während in der öffentlichen beziehungsweise medialen Wahrnehmung Umweltthemen dominieren, nimmt auch die Bedeutung von sozialen und Governance-Themen, zu denen Investoren Anträge auf Hauptversammlungen einreichen, immer mehr zu. Auch hier lassen sich länderspezifisch große Unterschiede beobachten. So ist das Thema Diversität in den USA schon seit deutlich längerer Zeit auf der Agenda als in Deutschland, wobei es auch hierzulande immer mehr an Bedeutung gewinnt. Laut einer Studie der Initiative „Investors for Diversity“ stellen fast drei Viertel der 30 einflussreichsten Investoren in Deutschland Anforderungen an die Diversität der Spitzengremien deutscher Unternehmen.

Neue Gesetze stärken Governance-Befugnisse der Hauptversammlung

Und auch rechtlich nehmen die Kompetenzen der Aktionärstreffen zu: Seit Inkrafttreten des Gesetzes zur Umsetzung der zweiten Aktionärsrichtlinie (ARUG II) im Jahr 2021 ist es verpflichtend, dass auf Hauptversammlungen über die Vorstandsvergütung und das zugrunde liegende System („Say on Pay“) abgestimmt werden muss. Da die variablen Vergütungskomponenten auch immer häufiger die Erreichung von Nachhaltigkeitszielen umfassen, gewinnen ESG-Aspekte auch in diesem Sinne an Bedeutung für die Hauptversammlungen.

Fazit

Nachhaltigkeit ist längst kein Marketing-Thema mehr, sondern betrifft Unternehmen mittlerweile in sämtlichen Bereich, von ihrer Berichterstattung, über die Geschäfts- und Finanzierungsstrategie – bis zur jährlichen Hauptversammlung. Umso wichtiger ist es, dass Unternehmen ihre Nachhaltigkeitsleistungen transparent kommunizieren, um sich dadurch den Zugang zum Kapitalmarkt zu sichern, mit den stetig wachsenden rechtlichen Anforderungen compliant zu bleiben – und für mögliche ESG-Resolutionen und kritische Fragen im Rahmen der Hauptversammlung gewappnet zu sein.


Michael Diegelmann: Gründer und Vorstand
Michael Diegelmann hat über 50 Unternehmen an die Börse gebracht und Erfahrungen in über 250 Investor Relations und ESG-Projekten gesammelt. Er ist seit 1997 im Bereich Kapitalmarktkommunikation tätig und ein ausgewiesener Experte in ESG-Themen.